„Ich wollte etwas machen, wo es nicht um Gewinn geht, sondern um Menschen“
Maria P. (70) ist seit elf Jahren als ehrenamtliche Sozialbegleiterin für pro humanis tätig. Ins Ehrenamt startete sie mit Pensionsantritt, davor arbeitete sie als Buchhalterin.
Du bist nun bereits seit 2013 ehrenamtliche Sozialbegleiterin bei pro humanis. Wie bist du vor elf Jahren zu uns
gekommen?
Ich habe 40 Jahre lang in der Privatwirtschaft gearbeitet, wo der Fokus immer nur auf einer Sache liegt: Gewinnoptimierung; mehr Umsätze. Ich habe eigentlich ein sehr schönes Berufsleben gehabt
und als ich dann relativ jung in Pension gegangen bin, habe ich mir gedacht, jetzt will ich es einmal umgekehrt. Ich möchte etwas machen, wo es nicht um Geldgewinne geht, sondern um
Menschen.
Zuerst habe ich ein Jahr lang bei den Vinzi-Werken gearbeitet, danach war ich bei der Caritas. Dort habe ich bei Kursen mitgeholfen. Aber dann habe ich in der Zeitung vom Verein pro humanis
gelesen und was er alles macht. Das hat mir gefallen. Also habe ich die Ausbildung zur ehrenamtlichen Sozialbegleiterin gemacht und bin seitdem hier.
Wie würdest du die öffentliche Meinung zu psychischen Krankheiten beurteilen? Hast du das Gefühl, es wird ernst genug genommen? Dass man offen darüber sprechen kann? Oder hast du das
Gefühl, es ist ein Tabuthema?
Ich denke, es ist sicher besser als noch vor zehn bis fünfzehn Jahren. Ich kann mich noch erinnern, dass es damals geheißen hat: „Die sind ja deppert“. Das Verständnis und die Offenheit sind
meiner Erfahrung nach gewachsen. Es wird anerkannt, dass es psychische Erkrankungen gibt und dass das Krankheiten mit gewissen Ursachen sind und keine bloße Einbildung. Das ist ein Gewinn.
Ich glaube, dass die Pandemie dabei auch eine Rolle gespielt hat. Diese Zeit hat uns in vielen Belangen zurückgeworfen. Danach wurde über psychische Gesundheit offener gesprochen. Zumindest nehme
ich das so wahr.
Du begleitest deine jetzige Klientin schon seit elf Jahren. Was hat sich in der Sozialbegleitung in diesen Jahren verändert?
Ich habe gelernt, dass man im Umgang mit Betroffenen alles ein wenig langsamer angehen muss, ohne Hektik und Stress. Man muss vor allem zuhören können. Bei pro humanis haben wir ja keinen
Veränderungsanspruch, das heißt, wir sollen die Betroffenen nicht versuchen zu ändern. Vielleicht ab und zu mal etwas einbringen, aber mehr nicht. Das ist nicht unsere Aufgabe. Für mich war das
nicht immer einfach, aber ich habe gelernt, mich in dieser Hinsicht zurückzunehmen.
Anfangs, als ich meine Klientin kennengelernt habe, hatten wir uns noch nicht viel zu sagen. Ich habe ehrlich gesagt nicht gewusst, worüber ich reden soll, man kann ja auch nicht immer nur über
das Wetter reden. Somit waren wir viel unterwegs und haben Museen besucht, waren in Parks spazieren uns so weiter. Als unser Verhältnis schon besser war, sind wir mehr bummeln und Kaffee trinken
gegangen. Seit dem Schlaganfall meines Mannes habe ich nicht mehr so viel Zeit wie davor, deswegen treffen wir uns jetzt immer im Einkaufszentrum auf einen Kaffee, das ist leichter zu erreichen
für mich. Da sitzen wir dann zusammen und sie erzählt mir aus ihrem Leben, wir tauschen uns aus. Also früher haben wir mehr angeschaut und weniger geredet, heute schauen wir weniger an und reden
mehr. (lacht)
Würdest du sagen, dass die Sozialbegleitung dich als Person verändert hat?
Mich verändert nicht, aber ich habe einen anderen Zugang zu Menschen erlernt. Ich bin jemand, der immer alles schnell erledigt haben möchte, ein tatkräftiger und energetischer Mensch. Bei
Personen mit psychischen Erkrankungen lassen sich gewisse Probleme nicht schnell lösen, es braucht Zeit und Geduld. Ich musste lernen, geduldig zu sein, auch wenn ich die Dinge ganz anders
wahrnehme, weil ich anders funktioniere. Normalerweise korrigiere und optimiere ich gerne möglichst viel um mich herum, doch so habe ich gelernt, auch mal zu schweigen und Dinge so hinzunehmen,
wie sie sind. Es ist wichtig, Betroffenen zu verinnerlichen, dass sie akzeptiert werden, wie sie sind und dass sie wertvoll sind.
Wie geht es dir persönlich in der Sozialbegleitung?
Ich mag meine Klientin sehr gerne, das finde ich schön. Für mich sind die Treffen bereichernd und ich mache es wirklich sehr gerne. Belastet gefühlt habe ich mich durch die Begleitung tatsächlich
noch nie.
Wie gelingt es dir, dich vom Leid anderer Personen abzugrenzen?
Ich denke, dass ich ziemlich resilient bin und deshalb ganz gut damit zurechtkomme. Wenn ich das Leid der anderen sehe, habe ich natürlich Mitgefühl. Aber dadurch leide ich nicht, sondern fühle
mich eher dankbar dafür, dass ich gesund bin.
Wie würdest du deine gesellschaftliche Funktion als Sozialbegleiterin beschreiben?
Ich finde Sozialbegleitung ganz, ganz wichtig. Es gibt bestimmt Klient:innen, die ohne Sozialbegleitung nirgends hingehen würden. Oder sie trauen sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht,
gewisse Dinge allein zu unternehmen und haben sonst wenige Menschen, die sie fragen könnten. Und dann sind sie allein zuhause mit ihren ganzen negativen Gedanken.
Ich versuche in meiner Sozialbegleitung, das ganze Positive, das ich selbst habe und erlebe, zu vermitteln. Ich bin humorvoll und lache gerne, das möchte ich weitergeben.
Wie hat dir deine Tätigkeit als Sozialbegleiter bisher im eigenen Leben weitergeholfen?
Ich habe gelernt, manchmal etwas ruhiger zu sein und gewisse Dinge langsamer anzugehen. Nicht schon fertig werden, bevor ich überhaupt angefangen habe. Und natürlich hat mich meine ehrenamtliche Tätigkeit dankbar gemacht für meine eigene Gesundheit. Für Menschen mit psychischen
Erkrankungen sind es oft kleine Dinge, die mir gar nicht erst auffallen, die dazu führen, dass ihre Stimmung kippt oder etwas für sie nicht mehr passt. Ich bin dankbar dafür, dass ich auf diese
Dinge gar nicht achten muss.
Maria P. hat auch in ihrem Privatleben Erfahrungen mit Begleitung - so unterstützt sie schon seit mehreren Jahren ihren Ehemann, der an Demenz erkrankt ist. Aus ihrer Fürsorge und Betreuung heraus ist das Buch "1mal1 Minus Prozente" entstanden: Ein Aufgabenheft für Demenzerkrankte, das sie selbst entwickelt und im Eigenverlag veröffentlicht hat.